Es gibt in Köln aktuell wohl keinen Platz, der so umstritten ist wie der Ebertplatz. Insbesondere seitdem im Oktober 2017 eine Messerstecherei am Ebertplatz tödlich endete, sind die Diskussionen um den Platz nicht mehr zur Ruhe gekommen. Er gilt als „Problemplatz“. In den Debatten um den Platz wird seither sowohl die örtliche Drogenszene als auch die brutalistische Architektur der Anlage problematisiert. Oft vermischen sich Ressentiments gegen Drogensüchtige und Obdachlose mit einer Ablehnung der brutalistischen Gestaltung des Platzes. Die Verschränkung von „schmutziger Architektur“ und „schmutzigen Milieus“ lässt sich in Bezug auf die Kritik des Platzes als gängiger Topos beschreiben. Dass es sich im Falle des Ebertplatzes nicht um einen „Unort“ (Kölnische Rundschau) sondern um ein gelungenes Beispiel brutalistischer Architektur handelt, soll im Folgenden kurz erörtert werden.

Konsequenter Brutalismus

 Der heutige Ebertplatz entstand im Kontext des Kölner U-Bahn-Baus und wurde 1977 fertiggestellt. Im Zusammenspiel von skulpturaler Architektur, einem abgestimmten Bepflanzungskonzept und der „Wasserkinetischen Plastik“ (Springbrunnen), wurde hier eine Platzanlage realisiert, die geradezu beispielhaft auf die Vorzüge brutalistischer Stadtraum-Architektur verweist.

Stadtkonservator Köln/RBA Foto: Celia Körber-Leupold (1978)

 

Für heutige städtebauliche Paradigmen ungewöhnlich mutet die konsequente Tieferlegung des Platzes an. Sie leistet jedoch eine optische und akustische Beruhigung gegenüber dem umliegenden Stadtraum mit seinen stark befahrenen Straßen (insbesondere Nord-Süd-Fahrt und Ring) und lässt die räumlichen Dimensionen des Platzes klar erfahrbar werden. In Verbindung mit der konsequenten Verwendung des Werkstoffs Beton erscheint der Platz so als Einheit und strahlt dadurch eine großzügige Weite aus, die in der Kölner Innenstadt andernorts nur selten zu finden ist. Die Einheitlichkeit des Werkstoffs Beton findet ihre Entsprechung auch im streng geometrischen Formenvokabular der Architektur. Das Polygon (meist als Sechseck) zieht sich als Grundmotiv durch die gesamte Anlage. Entgegengesetzt zur Einheitlichkeit des Werkstoffs Beton und den konsequent geometrischen Grundmotiven, verfügt der Ebertplatz jedoch auch über eine starke Asymmetrie und unterschiedliche Höhenniveaus, die fließend ineinander übergehen und zu einer geradezu landschaftlich anmutenden Erscheinung führen. Es sind jene Gegensätze von Geometrie und Asymmetrie, strengen Linien und landschaftlich-geschwungenen Elementen, Beton und Grünfläche, die den Platz dynamisieren und seinen besonderen Charakter auszeichnen. Auch der Gegensatz von Unten und Oben spielt eine grundlegende Rolle in der Gestaltung des Ebertplatzes.

Foto: Sofia Leikam

 

Ausgehend von einer tiefliegenden überdachten Passage am westlichen Ende, steigt der Platz bis zur Mitte hin an und fällt dann in östlicher Richtung wieder ab. Der spielerische Umgang mit den unterschiedlichen Höhenniveaus findet sich in der Sichtachse zum benachbarten Ringturm (1973) optisch verlängert. Am höchsten Punkt der Platzanlage befindet sich die „Wasserkinetische Plastik“ von Wolfgang Göddertz. Sie bildet das Zentrum des Platzes und definiert ihn sowohl optisch als auch akustisch. Als der Springbrunnen noch funktionsfähig war, spielten hier im Sommer oft Kinder. Die „Wasserkinetische Plastik“ war dann gleichzeitig Kunstwerk und öffentlicher Wasserspielplatz. Die innere Platzebene mit Springbrunnen wird von einer Grünzone gerahmt, die im Originalzustand über ein üppiges und auf die Architektur des Platzes abgestimmtes Bepflanzungskonzept verfügte.

Foto: Sofia Leikam

 

Im Gegensatz zu der offenen und weiten Erscheinung der inneren Platzebene ist die Passage am westlichen Ende des Platzes überdacht und bietet so Schutz vor schlechter Witterung. Zusätzlich verfügt sie über mehrere Gewerberäume. Im Originalzustand bestand ein Beleuchtungskonzept, das die Architektur der Passage zu inszenieren wusste und den Raum durchgehend ausleuchtete. Dazu existiert ein großer polygonaler Lichthof, durch den Tageslicht einfällt. Die überdachten Bereiche auf der anderen Seite des Platzes bilden den Eingang zur U-Bahn-Station Ebertplatz und beinhalten einen barrierefreien Durchgang zum benachbarten Theodor-Heuss-Park.

Der Ebertplatz lässt sich gleich in mehrfacher Hinsicht als brutalistisch begreifen, angefangen bei der Wahl des Baustoffs Beton, über die konsequent streng geometrische Formgebung bis hin zur charakteristischen Mehrebigkeit, welche die Grundlage für die vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten bildet. Insbesondere der Einheitlichkeit des Betons und dem konstruktivistischen Formenvokabular der Polygone verdankt der Ebertplatz seine geradezu skulpturale Zeichenhaftigkeit. Seine einzigartige Erscheinung beinhaltet eine Vielfältigkeit, die heutigen Platzarchitekturen oft abhanden gekommen zu sein scheint. In der Konsequenz seines architektonischen Programms ist er ein hervorragendes Beispiel für die Gestaltung öffentlicher Flächen in den 1960er/1970er Jahren. Insbesondere nach dem Abriss der Domplatte von Fritz Schaller ist der Ebertplatz auch einer der letzten Zeugen für die Stadtraum-Architektur eben jener Jahre in Köln.

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Zwischen Eigelstein, Agnesviertel, Nord-Süd-Fahrt und den Kölner Ringen

Der Ebertplatz besitzt jedoch nicht nur ästhetische Qualitäten, sondern verfügt auch in städtebaulicher Hinsicht über mehrere Vorteile. In der Kölner Nordstadt liegt er zum einen zwischen Agnesviertel und Eigelstein und verbindet zum anderen als größter Platz der innerstädtischen Ringstraßen den Hansaring mit dem Theodor-Heuss-Ring, wobei er auch die Nord-Süd-Fahrt unterquert. Er befindet sich damit an einem zentralen Verkehrsknotenpunkt der Kölner Innenstadt. Da die Konzepte für den motorisierten Individualverkehr an Ort und Stelle aktuell keine Änderungen vorsehen (insbesondere in Bezug auf die autogerechte Ausrichtung von Nord-Süd-Fahrt und Kölner Ringen), scheint die Tieferlegung des Platzes im Moment nicht nur alternativlos, sondern auch außerordentlich sinnvoll. Bei einer Anhebung auf Straßenniveau würde der Ebertplatz optisch und akustisch zu einer Verkehrsinsel werden. Obwohl das aktuelle Verkehrskonzept für den Ebertplatz auch als Relikt der „autogerechten Stadt“ verstanden werden muss (Autos oben, Fußgänger unten), sind die derzeitigen Erschließungsmöglichkeiten des Ebertplatzes allemal fußgängerfreundlicher als ebenerdige Straßenquerungen mit Hilfe von Ampelanlagen. Aktuell ist der Ebertplatz über mehrere Unterführungen, Treppen und Rolltreppen ampelfrei mit dem umliegenden Stadtraum verbunden. Ein breiter Durchgang am östlichen Ende des Platzes, leistet zudem eine Anbindung an den Theodor-Heuss-Park. Eben jene unterirdischen Erschließungsmöglichkeiten wurden in letzter Zeit häufig als „Angsträume“ (Express) bezeichnet. Zu diesem Eindruck trägt auch der schlechte Erhaltungszustand der Anlage bei, der insbesondere in der Passage auffällt.

Foto: Anke von Heyl

 

Politik der Vernachlässigung

Heute sind in der Passage alle Rolltreppen defekt, die Beleuchtungssituation ist unzureichend und der Beton in schlechtem Zustand. Dies gilt auch für den übrigen Platz. Die Waschbetonflächen sind flächendeckend mindestens vermoost und verdreckt, häufig auch stärker beschädigt. Stellenweise liegen verrostete Armierungen offen dar. Schäden im Beton wurden, soweit bekannt, nirgendwo konservatorisch korrekt überarbeitet. Falls Reparaturen stattfanden, wurden diese ohne Rücksicht auf das gestalterische Konzept des Ebertplatzes durchgeführt. Auch die „Wasserkinetische Plastik“ ist seit Jahren defekt. Der Brunnen wurde deswegen im Laufe der Zeit immer wieder stark besprayt und bestickert.

Im Kontext der städtischen Vernachlässigungspolitik sind insbesondere die Eingriffe erwähnenswert, die, als „Maßnahmen gegen das örtliche Drogenmilieu“ tituliert, stattfanden. So wurden in der Passage Lampen abgedeckt oder entfernt, weil Dealer darin angeblich Drogen verstecken würden. Auch der Pflanzenbestand der Grünflächen wurde auf Grund von mutmaßlichen Drogenverstecken drastisch reduziert. Stellenweise fanden sogar Eingriffe in die bauliche Substanz statt, um möglichen Drogenverstecken vorzubeugen. So ließ die Stadt Köln im November 2017 Hochbeete entfernen, da diese eine Versteckmöglichkeit für Drogen bieten würden.

Neben den zerstörerischen Eingriffen in das architektonische Konzept des Platzes, wurde von Seiten der Stadt wenig unternommen, um die Aufenthaltsqualität am Platz wiederherzustellen. Stellenweise wirkten vorgeschlagene Maßnahmen regelrecht absurd. So sollten die defekten Rolltreppen zu Kunstprojekten umfunktioniert werden. Ein Paradoxon: Während die „Wasserkinetische Plastik“ seit Jahrzehnten defekt ist und dem Vandalismus überlassen wird, sollten nun defekte Rolltreppen in Kunst verwandelt werden. Eine Strategie die hoffentlich weder am Ebertplatz noch anderswo Schule machen wird.

Ebertplatz – Erhaltung oder Abriss?

Mit dem zunehmenden Verfall der Platzanlage wurden auch die Stimmen nach einem Abriss oder Umbau des Ebertplatzes immer lauter. Nach der tödlichen Messerstecherei im Oktober 2017 wollten Teile der Kölner Politik die Passage zumauern lassen. Auch wenn derartige Vorschläge wohl eher als polemisch zu bewerten sind, existieren schon lange Pläne für einen Umbau beziehungsweise Neubau. Spätestens mit dem Masterplan von 2009 wurden diese Pläne recht konkret. Der Masterplan empfahl einen ebenerdigen Neubau als Maßnahme, die innerhalb von fünf Jahren realisiert werden könnte. Mittlerweile sind fast zehn Jahre vergangen, ohne dass etwas geschah. Trotzdem besteht in einem Punkt weiterhin große Einigkeit: Der Ebertplatz soll umgebaut werden. Und doch: In letzter Zeit sind in den Diskussionen auch vermehrt Stimmen nach einer Erhaltung des brutalistischen Ebertplatzes laut geworden. Immerhin: Am 20.3.2018 stimmte der Rat der Stadt Köln einem Antrag zu, den Ebertplatz zumindest bis 2020 wieder nutzbarer zu machen und dafür Finanzmittel zur Verfügung zu stellen. Die „Wasserkinetische Plastik“ soll für 230.000 € instandgesetzt werden. Darüber hinaus sollen jährlich 245.000 € für Kunst und Kulturveranstaltungen bereitgestellt werden. 2020 soll der Ebertplatz dann trotzdem grundlegend umgestaltet werden. Was in den nächsten Jahren letztlich geschehen wird, bleibt abzuwarten. Abschließend soll nicht unerwähnt bleiben, inwiefern die Diskussionen um den Platz auch politisch zu deuten sind.

Wem gehört die Stadt?

Häufig wird der Architektur des Ebertplatzes vorgeworfen, prekäre beziehungsweise kriminelle Milieus anzuziehen. Von einem Abriss versprechen sich Kritiker scheinbar auch immer das Verschwinden von Obdachlosen, Drogensüchtigen und Drogendealern. Der Konnex von „schmutziger Architektur“ und „schmutzigen Milieus“ hat Konjunktur und verweist unbeabsichtigt auch auf die politischen Implikationen der Kritik am Brutalismus. Insbesondere im Vergleich zu den ästhetisch-politischen Paradigmen aktueller städtebaulicher Projekte wird der genuin demokratischere Anspruch der brutalistischen Architektur deutlich.

Als Beispiel sei an dieser Stelle auf den Umbau des Bonner Bahnhofsvorplatzes verwiesen. Hier verschwand eine öffentliche brutalistische Platzanlage zugunsten eines privatwirtschaftlichen Ensembles austauschbarer Architektur. Laut den Projektentwicklern entsteht in Bonn nun ein sogenannter „Dreiklang aus Lifestyle House, Premium Hotel und City Office“ (diedeveloper.de). Das Projekt trägt den Namen „Urban Soul“. Es ist jenes Schlagwort des Urbanen, mit dem heutzutage paradoxerweise meist die Privatisierung beziehungsweise Kommerzialisierung öffentlicher Räume vermarktet wird. Es entstehen so öffentliche Räume, die primär nur noch von zahlungskräftigen Konsumenten genutzt werden können. Die Gestaltung dieser halböffentlich-kommerziellen Platzanlagen ist hierbei architektonisch oft so eindimensional wie die perfekt-glatten Oberflächen der Warenwelt- eine Architektur, die in erster Linie nicht beim Einkaufen stört. Öffentliche Plätze verkommen zu Leerstellen zwischen den Fassaden von Einkaufszentren, die erst dann Aufenthaltsqualität bieten, wenn sie über gastronomische Angebote verfügen.

Demgegenüber beweist sich der brutalistische Ebertplatz als unkommerzieller Ort, der zunächst einmal allen offen steht. In seiner ästhetischen Eigenständigkeit fordert er die Betrachter/innen immer wieder neu heraus und begreift sowohl Architektur als auch Stadt als einen Ort der Verhandlung, an dem sich Menschen aus unterschiedlichen Kontexten begegnen. Seine raue und durchaus auch sperrige Erscheinung beweist sich als geradezu antagonistisch gegenüber den glatten Oberflächen der übersichtlich-funktionalen Platzanlagen, die heute vielerorts entstehen. Am Ebertplatz wird die „ehrliche“ brutalistische Architektur von einem breiten Spektrum gesellschaftlicher Milieus genutzt. Die Konstruktionsprinzipien der brutalistischen Architektur sind hier ebenso sichtbar, wie gesellschaftliche Realitäten – ein Ort an dem die gesamte Bandbreite städtischen Lebens erfahrbar wird.

Wenn sich in der Kritik am Brutalismus also häufig Ressentiments gegen „schmutzige Milieus“ und „schmutzige Architektur“ miteinander vermischen, lassen sich hier auch Rückschlüsse auf den politisch-ästhetischen Horizont dieser scheinbar harmlosen Architekturkritik ziehen. In den glatten Oberflächen der urbanen Erlebniswelten ist Öffentlichkeit heute häufig nicht mehr als ein Ort, an dem man kollektiv einkaufen kann. Obdachlose oder Drogensüchtige stören hier nur.

Foto: Sofia Leikam

 

Und weiter?

Nichtsdestotrotz sind am Ebertplatz umfangreiche Restaurierungsarbeiten notwendig. Neben einer Reinigung und Aufarbeitung des Betons sowie einer Instandsetzung der „Wasserkinetischen Plastik“ sollte auch zum ursprünglichen auf den Platz abgestimmten Bepflanzungskonzept zurückgekehrt werden. Zweifelsohne sollte neben der Instandsetzung der Rolltreppen auch das Beleuchtungskonzept überarbeitet werden. Der Ratsbeschluss vom 20.3.2018 bildet einen guten Anfang. Was letztlich davon umgesetzt werden wird und ob eventuell doch noch ein generelles Umdenken in Bezug auf die Wertschätzung der brutalistischen Platzanlage einsetzen kann, bleibt abzuwarten. Es gilt zu bedenken, dass sich ästhetische Paradigmen mit der Zeit verändern. Bekannter Weise galt auch der heute weltberühmte Pariser Eiffelturm einst als „Schandfleck“. Oft braucht es Zeit, bis bestimmte Architekturstile geschätzt werden können. Es ist deswegen umso wichtiger, brutalistische Bauten vor dem Abriss zu bewahren und dieser ästhetisch-anspruchsvollen und auch sozialpolitisch durchaus ambitionierten Architektur die Möglichkeit einer späteren Wertschätzung einzuräumen.